Von Eric Pedersen, Head of Responsible Investments bei Nordea Asset Management
Nach Jahren scheinbar unaufhaltsamer ESG-Dynamik erlebte der nachhaltige Anlagebereich im Jahr 2022 eine verstärkte Debatte. Dies war größtenteils auf politisches Gehabe in den USA zurückzuführen, als sich die Kluft zwischen ESG-feindlichen „roten Staaten“ und ESG-freundlichen „blauen Staaten“ vergrößerte. Die vom Anti-ESG-Lager ausgehende Unsicherheit dürfte auch in diesem Jahr und darüber hinaus nicht nachlassen, insbesondere wenn wir uns den US-Präsidentschaftswahlen 2024 nähern.
Auch die Marktdynamik spielte eine Rolle bei der verstärkten Ausrichtung auf ESG, da Sektoren, die traditionell nicht auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sind – wie Öl und Gas – infolge der russischen Invasion in der Ukraine stark zulegten. Dies könnte einige Anleger dazu verleitet haben, ihre langfristigen Nachhaltigkeitsziele weniger zu betonen, um von kurzfristigem Aufwärtspotenzial zu profitieren.
Dennoch sind wir hinsichtlich der langfristigen Aussichten für nachhaltiges Investieren nach wie vor zuversichtlich und glauben nicht, dass die negativen Schlagzeilen die Realität widerspiegeln – zumindest außerhalb der USA.
Tatsächlich wird die Integration von ESG/Nachhaltigkeit in Anlageentscheidungen weltweit zunehmend zum Mainstream, angetrieben sowohl durch regulatorische Aktivitäten als auch durch reale Bedenken. Untersuchungen von Dow Jones vom September 2022 zeigten, dass sich ESG-Investitionen in den nächsten drei Jahren voraussichtlich mehr als verdoppeln werden, während 66 % der führenden Marktteilnehmer im Finanzsektor ESG-Investitionen als wichtigsten Treiber für nachhaltiges, langfristiges Wachstum bezeichneten.
Langfristiger Rückenwind aus vielen Richtungen
Sicherlich wird die Revolution der ESG-Regulierung in absehbarer Zeit nicht nachlassen. Weltweit führen immer mehr Gerichtsbarkeiten (z.B. Großbritannien, die USA und Singapur) Regeln und Taxonomien ein, die ESG-Anlagen und Offenlegungen von Unternehmen regeln. Diese orientieren sich oft an bestehenden EU-Richtlinien – wie der Offenlegungsverordnung SFDR, der grünen EU-Taxonomie und der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD).
Es wird erwartet, dass die laufenden Regulierungsinitiativen die Nachfrage der Anleger nach Berücksichtigung von ESG-Überlegungen erhöhen werden, entweder indirekt oder – wie im Fall der EU-MiFID-Verordnung im vergangenen Jahr – direkt, indem Nachhaltigkeitsbelange jetzt verpflichtend Teil einer Anlageberatungssitzung sein müssen.
Obwohl der COP27-Klimagipfel nicht allgemein als Erfolg angesehen wurde, wurde auf höchster Ebene das Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework vereinbart, das in den kommenden Jahren wahrscheinlich zu neuen Gesetzen führen wird. Eine Reihe wichtiger Nachhaltigkeitsvorschriften wurden bereits erlassen. Beispiele hierfür sind das neue EU-Gesetz zu entwaldungsfreien Produkten, das auch den Schutz der Menschenrechte fordert oder das Uigurische Zwangsarbeitsverhütungsgesetz in den USA.
Da Themen wie Klima, Biodiversität und Menschenrechte ganz oben auf der Agenda der Behörden stehen, werden Unternehmen, die nicht in der Lage sind, dem steigenden Maß an Sorgfaltspflicht gerecht zu werden, zunehmend von den größten Märkten der Welt ausgeschlossen. Dies birgt Risiken für Anleger, was bedeutet, dass eine gründliche ESG-Analyse weiterhin unerlässlich sein wird.
Und auch ohne diesen regulatorischen Rückenwind ist die Macht der öffentlichen Meinung nicht zu unterschätzen. Da wir zunehmend mit Szenarien von extremen Wetterereignissen und dem Verlust der Biodiversität konfrontiert werden, dürften sich Kleinanleger der Verbindung zwischen ihren Investitionen und Nachhaltigkeitsfaktoren bewusster werden. Was institutionelle Anleger anbelangt, so haben wir zwar eine Handvoll Fälle von Rückziehern in Bezug auf Klimaverpflichtungen gesehen, diese wurden jedoch von der Anzahl der Unternehmen, die versuchen, ihre Nachhaltigkeitsverpflichtungen zu stärken, in überwältigendem Maß in den Schatten gestellt.
Das Etikett ist eher belanglos
In den kommenden Monaten wird die langjährige Diskussion um den Begriff „ESG“ voraussichtlich fortgesetzt – insbesondere angesichts seiner anhaltenden Politisierung in den USA. Da es jedoch zum aktuellen „Catch-it-all“-Ansatz keinen Konsens über eine alternative ESG-Klassifizierung gibt, erwarten wir kurzfristig keine Änderung des aktuellen Status quo.
Aber unabhängig davon, mit welcher Terminologie wir irgendwann gemeinsam vorwärts gehen werden, wird der Nachhaltigkeitsschub der Anleger nicht nur bestehen bleiben, sondern sich noch beschleunigen.